“Borgia” -die Geschichte der mächtigsten Familie im Vatikan des 15. Jahrhunderts-

Sechsteiler „Borgia“ Die dunkle Seite der Macht Der opulente ZDF-Sechsteiler „Borgia“ erzählt die Geschichte eines machtgierigen Adelsgeschlechts an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. Rund 4.000 Statisten und 157 Liter Kunstblut haben am düsteren, 25 Millionen Euro teuren Epos mitgewirkt. In sechs Teilen beschreibt „Borgia“ den erfolgreichsten Netzwerker seiner Zeit, der globalisierten Frühphase des Kapitalismus. Die Titelfigur aber, Vorname Rodrigo, ist weder Börsenguru noch Mafiaboss oder Präsident, sondern das Oberhaupt eines Adelsgeschlechts an der Schwelle vom gottesfürchtigen Mittelalter zur geldfürchtigen Neuzeit. Mit Blut, Schweiß und Tränen in toller Kulisse schildert der dreifache Emmy-Gewinner Tom Fontana die Geschichte der mächtigsten Familie im Vatikan des 15. Jahrhunderts. Wie Rodrigo Borgia (John Doman) seine Verwandten, Vertrauten, selbst Gegner so versiert an die Hebel der Macht verteilt, bis er zum Papst gekrönt wird und die Borgias als Alexander VI. zur höchsten Blüte führt. All dies sind Zutaten eines Fernsehmonuments von 600 Minuten Länge, mit 25 Millionen Euro teurer als der Etat europäischer Königshäuser: 126 Schauspieler aus 18 Nationen haben Sprechrollen, darunter die Deutsche Isolda Dychauk als Rodrigos wichtige Tochter Lukrezia und Andrea Sawatzki als ihre Ziehmutter. Rund 4.000 Statisten kommen an Drehorten wie Prag oder dem originalgetreuen Nachbau der Sixtinischen Kapelle zum Einsatz, ganz zu schweigen von digitaler Technik, Special Effects und 157 Litern Kunstblut. Doch das allein ist es nicht, was „Borgia“ so beeindruckend macht. Die opulente Ausstattung, der dauergespannte Handlungsbogen, alle Authentizität des restaurierten Spätmittelalters brennen die Macht der Bilder erst durch die Sprache ins Zuschauerhirn, eine realistische Theatralik zwischen pathossatt verspielt und jetztzeitig derb. „Ich scheiße auf Rom und pisse auf Neapel“ – als Hörspielsequenz könnte Rodrigo Borgia damit die Antagonisten seines Erfolgs meinen, aber eben auch italienische Hooligans oder Konkurrenten der Schwerindustrie. In karmesinrotem Mantel, ein fürstliches Schloss dahinter aber, entführt die Szene in die Renaissance. Also auf die ganz große Bühne. Hintertür ins Märchenhafte Und die hat Konjunktur. Weltweit gute Einschaltquoten für europäische Mehrteiler wie „Napoleon“ von 2002 oder sechs Jahre später „Krieg und Frieden“ zeigen aus Sicht von Produzent Jan Mojto, „dass das Publikum historische Stoffe auch dann will, wenn sie komplex sind“. Es wolle vor allem die riesigen Ränkespiele, Schlachtfelder, Alphatiere beim Auf- wie Abstieg sehen, ergänzt Autor Fontana. „Wir leben in Zeiten der Angst, Extreme und Unsicherheiten.“ Da sei es doch beruhigend, anderen dabei zuzusehen, „wie sie das in ihrer Zeit gemeistert haben“. Tatsächlich aber faszinieren selbst die realistischsten Historienschinken und glaubhaftesten Filmdynastien erst durch eine Hintertür ins Märchenhafte. So wie die gefeierte HBO-Serie „Rom“ füttert auch „Borgia“ unsere Lust am Bösen, ohne ihre Konsequenzen wirklich fürchten zu müssen. Ist ja doch bloß Antike, Mittelalter, lange her. Und Rodrigo Borgia gibt vor über 500 Jahren einen JR Ewing ab, der wie in „Dallas“ dann doch zu abgehoben, irreal, zu künstlich wirkt, um wahr zu sein. Eine unprätentiös frontale Verbrechersaga wie die „Sopranos“ oder das heruntergekommene Baltimore der fantastischen Krimiserie „The Wire“ dagegen finden hierzulande auch deshalb vor allem auf DVD statt, weil dem Durchschnittszuschauer die dunkle Seite der Macht im Lichte der Wirklichkeit gar nicht so lieb ist. So gesehen könnte „Borgia“, das in Italien und Frankreich gerade Quotenrekorde bricht, durchaus sein Publikum finden. Und das, obwohl die Reihe hier in sechs spielfilmlangen Teilstücken läuft, statt wie andernorts verteilt auf zehn Abende. Unter der Regie von Regisseur Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“) gleitet die Kostümschlacht nämlich zu Beginn stets am Rande der Überzeichnung, tritt aber selten drüber. Fortsetzung ist bereits geplant Die Fieberkranke, die zur Heilung von einer Hexe mit Schweinekot beschmiert wird; der Sohn, der einem Widersacher aus dem Nichts das Ohr abschlägt; sein Bruder, der sich selbst zur Sühne kreuzigt; Papa Rodrigo, der sein sexuelles Ego ähnlich bildgewaltig pflegt wie sein politisches; dazu Udo Kier als Papst Innozenz VIII., der eineinhalb Stunden so grotesk durch den ersten Teil stirbt, dass ihm am Ende selbst eine weibliche Brust nicht mehr helfen kann – all dies pendelt permanent zwischen Shakespeare und Tarantino. Und beides geht bekanntlich immer.    (Gelesen im Kölner Stadtanzeiger, Schm.)

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