“Mona Lisa” hat eine Zwillingsschwester in Madrid

Mona Lisas „Zwillingsschwester“


Der Prado hat die Entdeckung einer zweiten Version der weltberühmten Mona Lisa verkündet. Die Kopie befindet sich schon länger in den Beständen des Madrider Museums.
Erst jetzt wurde nachgewiesen, dass es parallel zu Leonardos Werk entstanden ist.
In der Kunstgeschichte wie anderswo ist Kopisten ein schlechter Leumund sicher.
Ihre Werke wurden hingegen schon immer gern genommen, auch wenn dafür eher pragmatische Gründe den Ausschlag gaben – erst in der Moderne wurde die Kopie zum Kultgegenstand, der den Kult des Originals entzaubern sollte. Im berühmten Victoria & Albert Museum in London ist ein ganzer Saal Abgüssen bekannter Skulpturen gewidmet, die wie Michelangelos „David“ so kostbar sind, dass sie nicht reisen dürfen. Auch in früheren Jahrhunderten war es gang und gäbe, dass, wer es sich leisten konnte, beispielsweise einen nachgemachten Caravaggio bestellte – mitunter sogar beim Maler selbst, was der Frage von Original und Kopie, echt und falsch, eine besondere Pointe gibt.

Im Madrider Prado-Museum haben Experten jetzt eine Kopie entdeckt oder – genau genommen – erst in ihrem wahren Wert erkannt, die das Original im schönsten Abglanz seiner selbst erscheinen lässt: eine Zwillingsschwester von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ (ca. 1503), dem berühmtesten Gemälde der Welt. Am Dienstag teilte das spanische Museum mit, das Bild habe seit Jahren in ihrem Haus gehangen, sei jedoch für wesentlich jünger gehalten worden. Bei der Instandsetzung entdeckten die Restauratoren unter dem offenbar nachträglich eingefügten schwarzen Hintergrund jene italienische Landschaft, vor der die Mona Lisa posiert. Eine Durchleuchtung mit Infrarotstrahlen zeigte schließlich, dass der Maler dieselben Korrekturen vornahm wie Leonardo am Original, und da auch die Maße annähernd übereinstimmen, liegt der Schluss nahe, dass beide Arbeiten gleichzeitig entstanden sind. Der Louvre in Paris, Heimat der echten Dame, hat die Vermutung laut einer Agenturmeldung bereits bestätigt. Beim mutmaßlichen Maler soll es sich entweder um Andrea Salai oder Francesco Melzi, zwei der bedeutendsten Schüler Leonardos, handeln.

 


Doubletten dieser Art waren zu Lebzeiten Leonardos nicht unüblich – sie konnten beispielsweise wie ein zweiter „Abzug“ als Sicherheitskopie dienen und sind damit auch Ausdruck einer in Malerateliers gepflegten frühen Form von „Massenproduktion“.  Das Sensationelle am Fund des Prado liegt nun gerade in der Frische der im Vergleich zum Original strahlenden Farben. Bei einem unwiederbringlichen Meisterwerk wie der „Mona Lisa“ verbieten sich in der Regel derartige Aufhellungen – erinnert sei nur an die hitzigen Diskussionen, die sich an die Restaurierung der Deckenmalereien in der Sixtinischen Kapelle entzündeten.
Die Patina der Pariser „Mona Lisa“ ist geradezu eine Versiegelung ihres kunsthistorisch einmaligen Werts.
Dafür kommt die spanische Schwester dem Aussehen, das ihr Leonardo vor fünf Jahrhunderten gab, auf paradoxe Weise näher als sein im Louvre ausgestelltes Werk.   Abschließend wird man dies erst am 21. Februar beurteilen können.

An diesem Tag wird die Zwillingsschwester offiziell in die Familie der „Heiteren“, so die Übersetzung des italienischen Originaltitels „La Gioconda“, eingeführt.
Bereits jetzt lässt sich aber sagen, dass die Legende der „Mona Lisa“ um eine Facette, wenn nicht um ein Kapitel reicher ist.
Auch das Geheimnis ihres im Grunde erst vom englischen Kunsthistoriker Walter Pater „erfundenen“ Lächelns ist möglicherweise neu zu befragen.
Paters hymnische Besprechung der „Mona Lisa“ ist unumstritten die berühmteste und wirkungsmächtigste Schrift eines Kunsthistorikers: Seine Schwärmerei gleicht der eines romantisch Verliebten und hat den Marienkult säkularisiert.
Jährlich pilgern Millionen Menschen in den Louvre – vielleicht nicht um Heilung betend wie in Lourdes oder Fatima, aber doch auf der Suche nach dem Glanz des Heiligen in der Kunst.
Ob die spanische Kopie diese Aura annähernd erreicht, darf wohl bezweifelt werden.
Aber eines wird man diesem überraschenden Fund nicht absprechen können:

Mit ihm hat sich Leonardo da Vinci posthum für all die satirischen Kopien und malerischen Verballhornungen seines berühmten Frauenporträts revanchiert.

(Ksta)Von Michael Kohler, 02.02.12, 11:07h, aktualisiert 02.02.12, 21:41h

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